PROLOG
„Sophie, es tut mir leid.“ Das war nicht die beste Einleitung für die schlimmste Botschaft, die er jemals hinterlassen musste, aber es ging nicht anders. Die letzten sechs Stunden hatte er damit verbracht, eine fiktive Spur zu legen, die hoffentlich von seiner Tochter wegführen würde. Er hatte New York City hinter sich gelassen und fuhr nun die einsamen, ländlichen, kurvigen Straßen entlang, die den Norden New Jerseys durchzogen. Die traumhaft schöne Landschaft würdigte er kaum eines Blickes, während er versuchte, seinem alten Leben zu entfliehen.
Seine linke Hand schloss sich fester um das Lenkrad. Er räusperte sich und versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Ich habe einen Fehler gemacht – mehr als einen. Hoffte, ich könnte mich aus dem Schlamassel raushalten, aber wie sich herausgestellt hat, stecke ich mittendrin. Mir fehlt die Zeit, das jetzt ausführlicher zu erklären, aber –“ Er hielt jäh inne, als der Piepton ihrer Mailbox ihm das Wort abschnitt und wählte erneut ihre Nummer, wohl wissend, dass sie nicht antworten würde. Es war vierzehn Uhr an einem Mittwoch, und sie unterrichtete an der NYU eine Klasse in Archäologie. Wahrscheinlich bereitete sie ihre Studenten gerade auf die Sommerexkursion vor, zu der es im kommenden Monat losgehen sollte. Schon als kleines Mädchen war Sophie fasziniert gewesen von Geschichte, der Vergangenheit, der Suche nach Antworten auf jahrhundertealte Fragen. Jetzt lehrte sie während des Schuljahres und verbrachte ihre Ferien mit Ausgrabungen – die perfekte Kombination.
Es war es wert gewesen, Sophie alles zu ermöglichen, was sie sich wünschte. Oder etwa nicht?
Er warf einen kurzen Blick auf sein Telefon. Bei ihrem Zeitplan würde sie die Nachrichten erst in ein paar Stunden abhören. Vielleicht wäre er dann irgendwo in Sicherheit und sie könnten in Ruhe miteinander sprechen. Aber falls das nicht der Fall sein sollte … er musste ihr sagen, wie sie sich zu verhalten hatte, konnte nicht länger warten, konnte nicht weiterhin so tun, als wäre alles in bester Ordnung. Wochenlang hatte er sich vorbereitet, auf den Fall der Fälle. Nun musste er den Plan ausführen.
Ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter ermutigte ihn, eine weitere Nachricht zu hinterlassen.
„Weißt du noch, wie sehr deine Mutter es geliebt hat, bei ihrem jährlichen Frühjahrsputz alles Mögliche auszusortieren, und wie sehr wir es hassten, dass wir uns von den Dingen trennen mussten, die uns lieb und teuer waren, wie etwa meine Bierflaschensammlung? Erinnerst du dich daran, wo ich die hingebracht habe? Unser Geheimversteck, von dem nur wir beide wussten? Dort habe ich auch etwas für dich hinterlegt, aber zuerst musst du dir den Schlüssel holen, den ich an deinem absoluten Lieblingsort versteckt habe.“
Er drückte sich mehr als rätselhaft aus, denn er wollte nichts riskieren, falls die Informationen von der falschen Person abgehört wurden. Hoffentlich würde nur Sophie verstehen, wovon er sprach. Sicherlich würde sie sich darüber wundern, dass er sie so weit wegschickte, aber er wollte sie so schnell wie möglich aus der Stadt schaffen. Damit konnte sie Zeit gewinnen.
„Hol dir den Schlüssel und befolge meine Anweisungen“, fuhr er fort. „Ich weiß, dass du bezüglich dieser Nachricht eine Million Fragen haben wirst. Du wirst versuchen, mich anzurufen, aber ich werde nicht rangehen. Du wirst dich wundern, warum ich nicht schon vorher mit dir gesprochen habe. Du wirst es dir zweimal überlegen, ob du auch wirklich tun solltest, worum ich dich bitte, aber das darfst du nicht, Sophie. Vor allen Dingen musst du in Sicherheit sein. Du sollst noch ein langes Leben vor dir haben. Es mag nicht das Leben sein, das du dir vorgestellt hast, aber es kann trotzdem ein glückliches sein. Von daher – keine Fragen, kein Zögern, kein Überlegen, ob es einen anderen Weg geben könnte. Du darfst niemandem vertrauen, nicht der Polizei und schon gar nicht dem FBI – niemandem, verstehst du? Von wem auch immer du glaubst, er könnte mein oder dein Freund sein, er ist es nicht.“ Erneut wurde er abgewürgt.
„Verdammt“, fluchte er, als er ein Fahrzeug hinter sich auftauchen sah. Es könnte zwar einfach ein weiteres Auto sein, aber als es beschleunigte, erkannte er, dass seine Sünden ihn einzuholen drohten. Er war nicht klug genug gewesen, hatte seinen sauberen Abgang nicht gut genug vorbereitet.
Er drückte das Gaspedal seines kleinen Wagens durch, der vor Geschwindigkeit vibrierend versuchte, dem Verfolger zu entkommen. Früher war er ein exzellenter Fahrer gewesen, der fast jeden Verfolger abzuschütteln vermochte, aber in den letzten Jahren hatte er viele seiner Fähigkeiten eingebüßt und konnte sich kaum noch an die Person erinnern, die er einst war. Es gab so einiges, was er bereute, aber wenn er jetzt auf dieser Straße ums Leben käme, würde wahrscheinlich nie jemand die Hintergründe erfahren. Vielleicht wäre das gar nicht schlecht.
Noch einmal rief er Sophie an. „Wenn ich einen Ausweg finden kann, werde ich es dich wissen lassen, aber in der Zwischenzeit tust du genau das, was ich dir gesagt habe. Ich möchte, dass du weißt, wie stolz ich auf dich bin“, fügte er mit erstickter Stimme hinzu. „Alles, was ich getan habe – die Entscheidungen, die ich getroffen habe –, sollten unser Leben besser machen, besonders deines. Wenn ich an den Kummer denke, den ich dir jetzt bereite, bricht es mir das Herz. Das Letzte, was ich je wollte, ist, dich zu verletzen. Du bist stets mein Ein und Alles gewesen. Wenn mir etwas passiert, versuche nicht herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist. Geh bitte weder zu meinem Haus noch in deine Wohnung. Vertraue niemandem, besonders nicht denen, die du für meine Freunde hältst.“
Er sollte ihr zumindest einen Namen nennen, aber dann könnte sie denken, es wäre die einzige Person, die sie meiden sollte, wo es doch so viele mehr gab … mehr als er wusste ...
„Lauf einfach weg“, fuhr er fort. „Lass dein Telefon verschwinden, sobald du diese Nachrichten abgehört hast, damit sie dich nicht aufspüren können. Nochmals, Sophie, es tut mir so leid. Ich hoffe, du kannst irgendwo ein neues Leben anfangen und ich bete, dass du mir eines Tages vergeben wirst ...“
Als sein Auto von hinten gerammt wurde, flog ihm das Telefon aus der Hand. Er drückte das Pedal bis zum Anschlag durch, aber der PKW hinter ihm war stärker. In der nächsten Kurve kam er ins Schleudern und schoss geradeaus in die nächste, noch schärfere Biegung. Als sein Verfolger ihm einen weiteren Stoß versetzte, sah er die schmale Brücke vor sich.
Verzweifelt riss er das Steuer herum und versuchte, die Kontrolle wiederzuerlangen, aber das Auto rutschte über den Asphalt und geradewegs auf die Leitplanke zu. Kurz hatte er die Hoffnung, dass er über das Wasser schießen und auf der anderen Seite des Stausees landen könnte, aber das würde an ein Wunder grenzen.
Das Letzte, was er verdient hatte, war ein Wunder.